Sprachtherapie

Logopädie: Wann muss mein Kind zur Sprachtherapie?

Erziehung, Familie, Gesundheit

Die Aussprache und Grammatik stellen für viele Kinder eine echte Herausforderung dar. Aber ab wann ist eine Sprachtherapie eigentlich sinnvoll? Und wie stelle ich fest, ob mein Kind gefördert werden muss? Wir haben bei einer Logopädin nachgefragt.

Die Sprachentwicklung verläuft bei Kindern sehr individuell. Manche fangen früher an zu sprechen, manche dagegen etwas später. Das ist völlig normal. Aber woher weiß man als Elternteil, ob das Kind unter einer Sprachentwicklungsstörung leidet? Fängt dies schon beim kleinsten Lispeln an?

Wir haben dazu eine Expertin befragt. Sonja Utikal, Logopädin, Lerntherapeutin und Leiterin des Referats Logopädie beim Deutschen Bundesverband für Logopädie, klärt mit uns die wichtigsten Fakten zur Sprachentwicklung bei Kindern. 

Sprachtherapie
Grammatik und korrekte Aussprache: beides wird in der Sprachtherapie geübt.

Wann sprechen wir bei Kindern von einer Sprachentwicklungsstörung?

Mit jedem Alter durchlebt das Kind verschiedene Entwicklungsphasen, in denen es bestimmte sprachliche Fortschritte erreichen sollte. Von Kind zu Kind ist diese Entwicklung sehr individuell und es kann zu schnellen Fortschritten, aber auch zu einer Stagnation kommen. Von Entwicklungsverzögerungen oder sogar Entwicklungsstörungen wird gesprochen, wenn ein Logopäde feststellt, dass sich die sprachliche Entwicklung des Kindes im Alter von drei Jahren deutlich verzögert. Tatsächlich ist eine Sprachentwicklungsstörung die häufigste Entwicklungsstörung, die im Kindesalter auftritt. Diese äußert sich, indem das Kind beispielsweise das „r“ nicht aussprechen kann und dazu Schwierigkeiten mit dem Satzbau, Wortschatz oder dem allgemeinen Sprachverstehen hat.

Solche Artikulationsstörungen kommen häufig vor. Sie scheinen auf den ersten Blick nicht schlimm zu sein, aber das täuscht, wie Sonja Utikal erklärt: „Je mehr Worte bereits gelernt worden sind, desto schwieriger ist es für das betroffene Kind, diese entsprechend richtig zu lernen.“ Neben Artikulationsstörungen können sich Probleme in der Sprachentwicklung durch ein eingeschränktes Sprachverständnis, einen eingeschränkten Wortschatz, grammatikalische Fehler oder durch Störungen bei der Aussprache oder beim Redefluss wie Stottern und Poltern äußern.

Sprachtherapie
Für eine Sprachtherapie ist vor dem Kindergarteneintritt ein guter Zeitpunkt – aber auch später ist eine Therapie immer noch sinnvoll.

Die Meilensteine zur Orientierung für Eltern

Bist du dir unsicher, ob dein Kind unter einer Sprachstörung leidet? Die folgenden Meilensteine ordnen die Sprachentwicklung des Kindes in eine Zeitspanne ein und geben Anhaltspunkte, an denen du dich orientieren kannst.

Mit etwa 10 bis 12 Monaten sollte das Kind erste Wörter wie „Mama“ oder „Papa“ sagen können. Wenn sich das Kind in dem Alter immer noch schwer mit dem Sprechen tut, gibt es erst mal keinen Grund zur Sorge. Jetzt gilt es, als Elternteil ein wachsames Auge auf die Entwicklung zu legen und zu beobachten, ob Verbesserungen hinsichtlich der Sprachqualität eintreten. Lernt das Kind beispielsweise mehr Wörter oder beginnt, auch dreisilbige Wörter wie „Mamaman“ zu sagen?

Wenn sich mit 18 Monaten der Wortschatz immer noch nicht vergrößert hat oder das Kind sogar ganz aufhört zu sprechen, sollte spätestens jetzt ein Arzt aufgesucht werden. Mit zwei Jahren sollte der Wortschatz etwa 50 Wörter umfassen und das Kind sollte einfache Aufforderungen wie „Wirf den Ball“ verstehen.

„Ab dem dritten Lebensjahr sollte eine mögliche Störung abgeklärt werden“, rät Logopädin Sonja Utikal. Denn dann bleibt noch genügend Zeit, eine Störung bis zum Einschulungsalter zu korrigieren. Verläuft die sprachliche Entwicklung ohne Verzögerungen, dann beherrscht das Kind mit etwa vier Jahren die Grundbausteine der Sprache – und ist damit bereit für die Vorschule. Am besten erfolgt der Besuch beim Logopäden also noch vor dem Kindergarteneintritt, denn da ist die Sprachentwicklung noch nicht vollständig ausgereift.

Falls der Zeitpunkt verpasst werden sollte, können Eltern trotzdem aufatmen. „Zu spät ist es für eine logopädische Therapie nie. Sie wird in der Regel nur aufwendiger und langwieriger, je später damit begonnen wird“, beruhigt die Logopädin.

Sprachtherapie
Gurren und Laute nachmachen – so beginnt die Sprachentwicklung bei Babys.

Worin liegt die Ursache einer solchen Sprachstörung?

Wenn eine Sprachstörung bei einem Kind festgestellt wird, empfinden Eltern oft im ersten Moment ein Gefühl des Scheiterns, dabei brauchen sie sich keinen Vorwurf zu machen. „Man geht davon aus, dass Sprachentwicklungsstörungen angeboren sind“, verrät Sonja Utikal. „Sie können aber auch organischer Natur sein, beispielsweise, wenn Kinder Probleme mit dem Hören bzw. der auditiven Wahrnehmung oder eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte haben.“ Entscheidend ist, eine Sprachstörung frühzeitig zu erkennen, um sie rechtzeitig vom Logopäden behandeln zu lassen. „Eine therapeutische Behandlung kann schon bei Kindern in einem Alter von zwei Jahren in spielerischer Weise begonnen werden“, so die Logopädin. 

Wer sich unsicher ist, ob das Kind unter einer Sprachstörung leidet und nicht sofort einen Kinderarzt aufsuchen möchte, kann sich zunächst einmal telefonisch beim Logopäden vergewissern. Im Internet sind verschiedene Fachseiten zu finden, wie die des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie, die die Meilensteine der Sprachentwicklung ausführlich darstellen. Sobald allerdings ernste Bedenken auftreten, sollte umgehend der Kinderarzt aufgesucht werden, denn nur der kann einen Besuch beim Logopäden verordnen. 

So förderst und forderst du dein Kind sprachlich

Eltern unterstützen die sprachliche Entwicklung des Kindes, indem sie von Geburt an als sprachliches Vorbild agieren. „Sie können Ihre Kinder ganz einfach fördern, indem Sie mit Ihrem Baby sprechen, spielen, singen und lachen.“ Wiederhole die Aussagen des Kindes und fülle diese mit weiteren Informationen, Beschreibungen oder Emotionen. „Erzählen Sie in einfachen Worten, was Sie gerade tun, beschreiben Sie Menschen und Dinge in unmittelbarer Umgebung, reagieren Sie auf jedes Gesprächsangebot Ihres Kindes und sprechen Sie in einfachen Sätzen – aber nicht in Babysprache.“ So kann sich das Kind automatisch einen großen Wortschatz aneignen. 

Damit sich dein Kind keine falschen Wörter einprägt, sollte man die Aussagen des Kindes wiederholen und indirekt korrigieren. Es ist auch wichtig, dem Kind gezielt Fragen zu stellen, damit es zum Sprechen und Denken angeregt wird. Mit wachsendem Alter sollte der Wortschatz ausgebaut und die Kommunikation anspruchsvoller gestaltet werden. Scheue dich also nicht davor, auch komplexe Wörter zu verwenden, denn nur so kann dein Kind auch sprachlich über sich hinauswachsen.

Checkliste: Leidet mein Kind unter einer Sprachentwicklungsstörung?

Die Entwicklung ist von Kind zu Kind individuell, aber bleibe aufmerksam, wenn …

  • … das Baby mit sechs Monaten nicht auf Geräusche reagiert und keinen Blickkontakt aufnimmt
  • … das Baby mit sechs Monaten aufhört zu lallen oder sogar ganz verstummt
  • … das Baby mit sechs Monaten nicht richtig hört und es deshalb zu Missverständnissen kommt
  • … das Baby ab dem zwölften Monat nur mit Gesten, Mimik oder Schreien kommuniziert, statt Wörter zu benutzen
  • … ab dem zwölften Monat Probleme bei der Lautbildung auftreten und das Kind beispielsweise “Flau” statt “Frau” sagt.
  • … das Kind mit zwei Jahren nur sehr undeutlich spricht und sein Wortschatz weniger als 50 Wörter umfasst.
  • … das Kind mit zwei Jahren keine Zwei-Wort-Sätze bildet wie “Mama da” oder einfach Aufforderungen nicht versteht.
  • … das Kind mit drei Jahren von den Menschen in seinem Umfeld nur schlecht verstanden wird. In der Regel hat es in dem Fall auch Schwierigkeiten Freunde zu finden, denn wenn es sich nicht richtig verständigen kann, kapselt es sich schnell von anderen Kindern ab.
  • … das Kind mit drei Jahren keine Artikel oder Adjektive benutzt oder nicht versucht, einfach Sätze zu bilden

Bildquelle: Getty