Das Darmmikrobiom wird erst seit relativ kurzer Zeit erforscht und immer mehr Zusammenhänge werden klar. Wir haben die Ernährungs- und Sportmedizinerin Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann darum gebeten uns zu erklären, wie wichtig das Darmmikrobiom für unsere Gesundheit ist und was man im Alltag tun kann, um es positiv zu beeinflussen.
Liebe Frau Professor Axt-Gadermann, beginnen wir mit den Grundlagen: Was ist das Mikrobiom?
Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann: Das Mikrobiom meint die Gesamtheit aller Bakterien, Viren, Pilze und Einzeller im Darm. Aber eben nicht nur im Darm, sondern auch auf der Haut und auf den Schleimhäuten.
Welche Rolle spielt das Mikrobiom für unsere Gesundheit?
Man kann die Gesamtheit des Mikrobioms erst seit ungefähr zwanzig Jahren untersuchen. Nach heutigem Stand wissen wir, dass das Mikrobiom bei fast allen Stoffwechselvorgängen, bei fast allen
Erkrankungen, aber auch beim Schutz vor Krankheiten beteiligt ist. Das Darmmikrobiom hat Einflüsse auf den gesamten Körper: Bakterien im Dickdarm verstoffwechseln Ballaststoffe unter anderem aus unserer Nahrung und bilden daraus bestimmte Metaboliten, also Stoffwechselprodukte. Diese bleiben und wirken nicht nur im Darm, sondern gelangen durch die Darmwand hindurch in das Blut und über den Blutstrom zu jedem Organ unseres Körpers.

Wie kann man sich das Mikrobiom vorstellen?
Also im Darm haben wir 100 Billionen Bakterien. Das ist eine unvorstellbar große Zahl. Wenn wir die zählen wollten und würden für ein Bakterium eine Sekunde brauchen, würden wir 3,2 Millionen Jahre zählen! Und diese Bakterien produzieren ungemein viel. Sie stellen zum Beispiel Vorstufen von Glückshormonen und von Schlafhormonen her, aber auch Vitamine und Nervenbotenstoffe, entzündungshemmende und entzündungsfördernde Substanzen, oder auch Stoffe, die auf den Stresshormonspiegel wirken und und und. Diese Darmbakterien beeinflussen im Prinzip alle Vorgänge, die im Körper ablaufen. Der Darm bzw. das Mikrobiom ist eigentlich eine große Fabrik, die wirklich viele wichtige Dinge für unseren Körper produziert. Und über die Blutbahn können diese Stoffwechselprodukte überall im Köper wirken. Wenn also zum Beispiel die Haut entzündet oder der Blutzuckerspiegel zu hoch ist, dann können sie da regulierend eingreifen oder auch zu einer Verschlechterung beitragen – je nachdem, wie das Mikrobiom im Darm zusammengesetzt ist.
Haben alle Menschen das gleiche Mikrobiom?
Nein, jeder Mensch hat sein eigenes, ganz individuelles Mikrobiom. Aber es findet ein Austausch zwischen den Menschen statt. Das erklärt, warum sich das Mikrobiom von zum Beispiel Familienangehörigen ähnelt, aber eben nicht identisch ist. Auch wenn wir mit jemandem in einem Raum sitzen, wenn wir jemanden umarmen, dann werden Bakterien ausgetauscht, die der jeweils andere in sein Mikrobiom übernimmt.
Kommen Kinder schon mit einem fertigen Mikrobiom auf die Welt?
Nein, zum Zeitpunkt der Geburt haben Kinder zunächst mal kein richtiges Mikrobiom. Es sind also fast keine Bakterien im Darm und auch nicht auf der Haut. Im und durch den Kontakt mit Bakterien in ihrer Umgebung baut sich das Mikrobiom dann nach und nach auf, bleibt aber bis etwa zum dritten Lebensjahr sehr, sehr instabil. Wenn das Kind am Tisch mitisst, beginnt sein Mikrobiom langsam, sich an das der Erwachsenen anzugleichen, und so zu Mitte, Ende der Grundschulzeit ist das Mikrobiom schon relativ stabil.

Sind Mikrobiom und Darmflora das Gleiche?
Ja, eigentlich sind es Synonyme. Früher hat man von Darmflora gesprochen, seit 2005 hat sich der Begriff Mikrobiom durchgesetzt.
Gibt es Symptome, die auf ein gestörtes Mikrobiom hinweisen?
Da das Mikrobiom sehr viele Erkrankungen begünstigen oder davor schützen kann, sind die Symptome natürlich vielfältig. Weil sowohl Allergien als auch Arteriosklerose oder Depressionen mit dem Mikrobiom in Verbindung stehen, kann man schwer sagen, dieses oder jenes Symptom weise eindeutig auf ein gestörtes Mikrobiom hin. Aber das Mikrobiom spielt oft eine wichtige Rolle dabei. Man sollte stets dann hellhörig werden, wenn man irgendwelche Beschwerden, chronische Krankheiten und gleichzeitig Magen-Darm-Probleme hat. Also immer wieder Bauchschmerzen, Blähungen, Stuhlunregelmäßigkeiten und gleichzeitig zum Beispiel eine schwere Akne, Hauterkrankung oder irgendetwas Ähnliches, oder auch unter Depressionen leidet. Gerade bei Depressionen ist der Zusammenhang inzwischen sehr gut untersucht. Und dann macht es durchaus Sinn, mal eine Mikrobiomanalyse durchführen zu lassen, um zu schauen, was denn da im Darm vielleicht nicht in Ordnung ist.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mikrobiom und Allergien?
Allergien sind Immunreaktionen des Körpers. Und das Immunsystem steht in enger Verbindung mit dem Mikrobiom. Veränderungen des Mikrobioms können das Immunsystem so beeinflussen, dass es dann Allergien auslöst. Allergiker haben häufig ein verändertes Mikrobiom und häufig helfen ihnen dann probiotische Bakterien, wenn sie sie über eine längere Zeit und hochdosiert einnehmen.
Was kann man machen, um das Mikrobiom generell zu verbessern?
Der Lebensstil ist ein wichtiger Faktor: viel Bewegung, Schlaf, frische Luft, soziale Kontakte – all das fördert ein gesundes Mikrobiom. Auch über die Ernährung oder spezielle Präparate lässt sich das Mikrobiom verbessern. Bei der Ernährung ist eine abwechslungsreiche Kost sehr wichtig, die auf vielen unterschiedlichen Pflanzen basiert und ausreichend Ballaststoffe enthält.
Welche Nahrungsmittel fördern das Mikrobiom am besten?
Da sind zum einen die sogenannten präbiotischen Ballaststoffe. Das sind spezielle Ballaststoffe, die das Mikrobiom gut verarbeiten kann. Man findet sie zum Beispiel in Zwiebel- und Lauchgemüse, in Hülsenfrüchten, in Kaffee. Auch Mandeln sind super fürs Mikrobiom, weil sie es vielfältiger, artenreicher machen. Gut ist zudem resistente Stärke, die sich in Kartoffeln, Reis, Nudeln bildet, wenn sie erhitzt werden und wieder abkühlen. Auch vergorene Milchprodukte wie Joghurt, Kefir, Skyr, Quark oder Buttermilch sind empfehlenswert, da sie lebende Milchsäurebakterien enthalten, die gut für unser Mikrobiom sind. Es gibt also eine große Auswahl an Nahrungsmitteln, wenn man sich gesund und mikrobiomfreundlich ernähren möchte.

Sie haben schon erwähnt, dass Darm- und Hautmikrobiom miteinander verbunden sind. Auf welche Weise genau?
Der Darm kann über die Stoffe, die er produziert, die Haut, den Hautzustand beeinflussen. Wenn also im Darm entzündungshemmende Stoffe produziert werden, dann macht sich das auf dem ganzen Körper und auch auf der Haut bemerkbar. Die Haut hat aber ihr eigenes Mikrobiom. Und wenn dieses Mikrobiom gesund ist, ist es in der Lage, unerwünschte Bakterien abzuwehren.
Ein gesundes Hautmikrobiom kann uns also vor Hautkrankheiten schützen?
Ja, denn es besteht aus nützlichen Bakterien, die helfen, den pH-Wert der Haut im sauren Bereich zu halten und die die Haut vor Schäden durch Umweltstress usw. schützen. Sie wirken wie eine Barriere, bilden also eine Art Schutzschicht über der Haut und wehren unerwünschte Bakterien ab, die aus der Umwelt auf die Haut gelangen. Im Normalfall bleiben diese nur kurz da, weil sie von den gesunden Bakterien gewissermaßen vertrieben werden.
Bei Hautkrankheiten ist das natürliche Hautmikrobiom oft gestört, sodass unerwünschte Bakterien sich übermäßig ausbreiten können und dann Schaden verursachen. Etwa, indem sie den pH-Wert der Haut verändern, die Hautbarriere verändern, die Haut austrocknen, zu Entzündungen führen, Juckreiz begünstigen. Dem Übermaß an schädlichen Bakterien auf der Haut steht oft ein Mangel von nützlichen Bakterien auf der Haut oder eine bakterielle Fehlbesiedelung im Darm gegenüber. Dieses Zusammenspiel von Haut- und Darmmikrobiom lässt sich bei vielen Hautkrankheiten beobachten, so etwa bei Neurodermitis, Rosazea oder Akne. In eigenen Studien konnten wir mit Bädern und Salben, die lebende probiotische Bakterien enthalten, sehr gute Erfolge bei Neurodermitis erzielen.
Ist das Hautmikrobiom von Kindern empfindlicher als das von Erwachsenen?
Bei kleinen Kindern ist es schon sehr viel empfindlicher, weil es sich ja erst aufbaut. Es ist in jedem Fall hilfreich, wenn das Kind gestillt wird, weil die Muttermilch optimal auf die Entwicklung eines gesunden Mikrobioms abgestimmt ist. Mütter, die nicht stillen können oder wollen, sollten eine Säuglingsmilch nehmen, in der Präbiotika und Probiotika – also die nützlichen Bakterien – als Starterkulturen und auch entsprechende Ballaststoffe enthalten sind.
Kann man die Haut auch “von innen” stärken?
Ja, zum Beispiel mit probiotischen Bakterien. Es gibt unendlich viele Präparate auf dem Markt, aber ein paar Kriterien, die die Wahl erleichtern. Erstens sollte das Mittel hoch dosiert sein: Wir haben bis zu 100 Billionen Bakterien im Darm. Erwachsene sollten schon 10 bis 30 Milliarden Bakterien pro Tag über zwei, drei Monate hinweg einnehmen, um eine spürbare Wirkung zu erzielen; bei Kindern Dosierung nach Alter. Und weil Artenreichtum enorm wichtig für ein gesundes Mikrobiom ist, sollte das Präparat zweitens 10 bis 30 verschiedene Bakterienstämme enthalten. Drittens sind Pulverprodukte besser geeignet als Kapselpräparate, weil sie viel mehr präbiotische Ballaststoffe enthalten und der Verzehr von 5 bis 10 Gramm dieser Ballaststoffe pro Tag empfohlen wird.
Lassen sich diese Präparate auch mit einer gesunden Ernährung oder Diät kombinieren?
Die Grundlage eines gesunden Mikrobioms ist ein gesunder Lebensstil und eine gesunde, ballaststoffreiche Ernährung. Normalerweise ist das auch völlig ausreichend. Wenn man aber Beschwerden, Darmprobleme oder eine chronische Krankheit hat, können Präparate eine gute Unterstützung sein. Eine Ernährungsumstellung ist dann auf jeden Fall sinnvoll, reicht aber eventuell nicht aus, insbesondere, wenn man relativ schnell Verbesserungen erzielen möchte. Dann ist es gut und wichtig, mal drei, vier Monate oder ein halbes Jahr lang ein hochdosiertes Präparat einzunehmen, mit den Kriterien, die ich eben beschrieben habe. Unsere Studien haben gezeigt, dass man mit der Ernährung, mit dem gesunden Lebensstil, mit Bewegung und eben mit einem geeigneten Präparat das Mikrobiom wirklich umprogrammieren kann. Es dauert allerdings mindestens acht Wochen, bis man eine Verbesserung der Beschwerden spürt. Danach aber merken die meisten positive Veränderungen. Bei der Anwendung von Salben und Bädern mit Milchsäure- und Bifidobakterien geht es schneller, da zeigen sich Verbesserungen schon nach ein bis zwei Wochen.
Welchen Rat würden Sie Familien geben, die sich zum ersten Mal mit dem Mikrobiom auseinandersetzen?
Das ist ein großes Thema mit so vielen Facetten. Aber ganz allgemein kann ich sagen: Von einer mikrobiomfreundlichen Ernährung profitieren alle – vom Baby bis zum Senior. Ältere Menschen werden gebrechlich, wenn ihr Mikrobiom schlechter wird, kleine Kinder neigen zu Allergien oder Übergewicht, wenn ihr Mikrobiom nicht in Ordnung ist. Um dem vorzubeugen, sollte die Familienernährung ballaststoffreich und pflanzenbetont sein, darf aber auch Fisch und Fleisch enthalten. Auch Bewegung ist wichtig, um das Mikrobiom zu unterstützen. Wenn Beschwerden auftreten, also wenn die Kinder zum Beispiel unter Neurodermitis oder Allergien leiden, dann können Präparate oder Kosmetikprodukte mit probiotischen Bakterien durchaus helfen, das Mikrobiom wieder in einen guten Zustand zu bringen. Was darüber hinaus im Alltag hilft: keine Desinfektionsmittel im Haushalt verwenden, weil diese viele nützliche Bakterien töten, und sich möglichst viel in der Natur aufhalten, weil wir da wichtigen Bakterien begegnen, die das Mikrobiom reparieren und regenerieren. Soziale Kontakte sind ebenfalls wichtig – nicht zuletzt nehmen wir auch dadurch nützliche Bakterien auf.

Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann ist Ernährungs- und Sportmedizinerin und Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Coburg. Dort erforscht sie unter anderem die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Darmmikrobiom, Hautmikrobiom und Gesundheit. Im Südwest Verlag sind zudem zahlreiche Bücher von ihr zum Thema Mikrobiom erschienen, unter anderem “Gesund mit Darm” oder “Mikrobiomanalyse”. 2018 hat sie das lizensierte Online-Ernährungscoaching “Gesund mit Darm” entwickelt, das von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst wird. Mehr Infos unter axt-gadermann.de
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