Mini-München: Wenn Kinder ihre eigene Stadt gestalten

Eltern, Familie, Freizeit

Ein einzigartiges Kulturprojekt für Kinder im Alter von 7 bis 15 Jahren ist die Spielstadt Mini-München. Alle zwei Jahre öffnet sie ihre Tore. Das nächste Mal ist es 2026 so weit, dass Kinder und Jugendliche an diesem außergewöhnlichen Ferienprogramm teilnehmen und ihre eigene Stadt gestalten können. Hier könnt ihr euch schon mal einen Eindruck verschaffen …

Die Spielstadt für Kinder im Alter von 7 bis 15 Jahren ist das größte – und kostenlose – Ferienangebot der Stadt München. Alle zwei Jahre öffnet sie in den Sommerferien für drei Wochen ihre Tore und lädt Kinder und Jugendliche ein, ihre eigene Stadt zu gestalten. Denn hier liegt alles in ihren Händen, von der Verwaltung, Politik und Gerichtsbarkeit über Medien, Bildung und Kultur, Handwerk und Dienstleistungen bis hin zu Gastronomie und Freizeitangeboten. Die Kids können die unterschiedlichsten Berufe ausprobieren, Events organisieren, nach Lust studieren oder selbst unterrichten, wählen, politische Ämter ausüben und noch vieles mehr.

Die Spielstadt Mini-München wird von den Kindern selbst verwaltet.

Was ist das Besondere an der Spielstadt Mini-München?

Wendelin und Linus, 12 und 13 Jahre und gute Freunde, können davon berichten. Linus war letzten Sommer das dritte Mal dabei, Wendelin schon zum vierten Mal, weil er bereits als Sechsjähriger seinen Vater Andreas K. begleiten durfte, der seinerzeit bei Mini-München als medienpädagogischer Mitarbeiter der Spieleinrichtung tätig war. Wendelin ist der erfahrenere der Jungs und ein lebhafter Wortführer, Linus hört aufmerksam zu und unterbricht ihn oft, um wichtige Aspekte zu ergänzen: 

„Also, am ersten Tag muss man zum Einwohnermeldeamt und sich einen Pass holen. Dann kann man sich einen Job suchen. Es gibt viele Handwerksbetriebe, einige machen was aus Holz oder Ton, andere nähen, dann die Müllabfuhr, die Busfahrer, eine Bäckerei und ein Restaurant mit Yoghurt, Sandwiches, Salaten und so, das kochen dann auch die Kinder. Am Anfang gibt es vor den Toren immer eine Riesenschlange, mindestens 100, 200 Meter lang. Denn die Ersten, die reinkommen, kriegen die begehrtesten Jobs.“

Die Kinder können verschiedene Berufe ausprobieren und dabei “Geld” verdienen.

Bei Mini-München lernen Kinder, wie eine Stadt funktioniert

Wer bis elf Uhr keinen Arbeitsplatz gefunden hat, muss zum Arbeitsamt und hoffen, dass bald jemand kündigt und eine Stelle frei wird. Wendelin und Linus hatten aber Glück und wurden im Kino angestellt: „Das machte uns viel Spaß, weil es so viele unterschiedliche Sachen zu tun gab: als Kassierer Eintrittskarten verkaufen, Filmwerbeplakate malen und in der Stadt aufhängen, die Vorstellung im Kino auf der Bühne vorne ankündigen, sich um die Technik, also Beleuchtung und Ton kümmern, als Putzkraft den Kinosaal reinigen.“

Der Job wird dann im Pass eingetragen und auch die Arbeitsstunden. Damit kann man zur Bank gehen und sich sein Geld auszahlen lassen. In Mini-München gibt es einen Einheitsstundenlohn von fünf MiMü. Abzüglich der Stadtsteuer werden davon vier MiMü ausgezahlt. Mit dem verdienten Geld können die Kids ins Gasthaus, die Milchbar oder das Kino gehen, Taxi fahren, einkaufen oder ein Sparkonto eröffnen. Ganztagsarbeit scheint die Regel zu sein, aber auch da bleibt genug Zeit, die Attraktionen der Stadt zu erkunden: „Das Kino öffnete erst später und schloss ungefähr eine Stunde vor Spielschluss. Wir hatten auch immer eine Mittagspause, da konnten wir uns was zu essen holen oder Sachen bei anderen Handwerksbetrieben kaufen, zum Beispiel Parfum, das in der Olfaktorie hergestellt wird. Oder Lotto spielen und das Glücksrad drehen, das kostet eine MiMü, man kann da Bonbons oder MiMüs gewinnen. Es gab sogar eine Art Stadtbad mit Wasserspaß, wo wir uns abkühlen konnten.“

Ein eigenes Gewerbe gründen und Geld verdienen

Welche Aktionen sind ihnen vom letzten Mal am besten in Erinnerung geblieben? Ganz klar: „der Minecraft-Battle, den wir am Ende im Kino veranstaltet haben, also wer in einer bestimmten Zeit eine Sache am besten bauen kann. Da gab es einen Riesenandrang“. Beide fanden auch die Rollstuhlakademie sehr cool, „da durften wir kostenlos Rollstuhlfahren ausprobieren und mussten im Rollstuhl Aufgaben lösen. Das zu lernen ist einfach toll!“ Und dann natürlich Wendelins Idee, Popcorn zu verkaufen. Das ging aber nicht einfach so, dafür brauchte er die Erlaubnis vom Gewerbeamt. Der Stadtrat legte dann fest, wie viele Steuern er zahlen muss. Mais und eine Popcornmaschine gab es in der Stadt aber nicht zu kaufen, das brachte Wendelin von zu Hause mit – gesponsert vom Papa. An einem Tisch in der Gasthausküche konnten Linus und er das Popcorn machen und abfüllen, „mit bisschen Zucker drüber, nicht so professionell“ (Wendelin) – „aber mit Liebe“ (Linus). Vor dem Kino haben es die Jungs dann an Wendelins Stand verkauft – „war ein ganz guter Verdienst“, meint Wendelin mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht.

Dieses Jahr reizt es Linus, als Taxi- oder Busfahrer zu arbeiten. Es scheint auch echt Spaß zu machen, andere in den fantasievollen Gefährten herumzukutschieren, die Ähnlichkeiten mit Seifenkisten, Rikschas und Go-Carts haben. Die jungen Angestellten der Fahrradwerkstatt auf dem Gelände bauen sie jedes Jahr neu aus alten Rädern und Holzlatten zusammen. Dafür muss Linus aber erst den Führerschein machen. Wendelin hat ihn bereits beim vergangenen Ferienprogramm bestanden, wie alle einmal erworbenen Kompetenzen verfällt er nicht. Auch der Aktienhandel interessiert die beiden Jungs, bisher haben sie sich aber noch nicht so rangetraut bzw. sich noch nicht genauer damit beschäftigt, das wollen sie diesen Sommer angehen.

In die Politik gehen oder Umweltschutzprojekte initiieren – in Mini-München ist all das möglich.

Kinder gestalten demokratische Prozesse in Eigenregie

Ambitionen auf ein politisches Amt haben beide noch nicht. Wie alle Einwohner besitzen sie aber das Wahlrecht und dürfen jede Woche den Stadtrat mit wählen, der dann den Einwohnern in der täglichen Bürgerversammlung über seine Aktivitäten Bericht erstatten und Rede und Antwort stehen muss. Der Stadtrat zieht immer wieder durch die Stadt, versucht, Dinge zu gestalten, regt Verbesserungen an, erhebt die Steuern, entscheidet in seinen täglichen Sitzungen über die Anträge einzelner Bürger oder Betriebe (zum Beispiel über Zuschüsse für Betriebsausflüge oder Feste).

Es seien vor allem die 14- und 15-Jährigen, die in die Politik gehen und als Bürgermeister oder Stadtrat kandidierten, meint Wendelin. Andreas K. bestätigt, dass sich die Kids anfangs typischerweise hauptsächlich fürs Arbeiten interessierten und nicht so sehr für die städtischen Abläufe und das Gemeinwesen. Erst mit der Zeit merkten sie, dass die Politik doch sehr viel größere Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringe als der einzelne Job, und zudem noch Macht und Prestige. Dann engagierten sich viele begeistert.

Um für ein Amt zu kandidieren, muss man die Vollbürgerschaft besitzen. Die können die Kinder beantragen, wenn sie mindestens vier Stunden gearbeitet und vier Stunden studiert sowie einen Streitschlichtungskurs in der Zoff-Akademie besucht haben. Für das Studium werden sie genauso bezahlt wie für alle anderen Jobs oder eine handwerkliche Ausbildung. An der Universität gibt es Hunderte Lehrveranstaltungen zu unterschiedlichsten Themen, Kinder können hier sogar promovieren und selbst Vorlesungen anbieten. Oder Jura studieren, denn Richterinnen und Anwälte braucht die Stadt ja auch.

35.000 Quadratmeter groß ist die Spielstadt Mini-München

Wie ist es möglich, bei all dem, was hier passiert, auf dem Laufenden zu bleiben? Gar nicht schwer, finden Linus und Wendelin und zählen auf: Überall hängen Plakate rum und es gibt MüTiVi, das eine Art Tagesschau produziert, die jeden Abend im Kino gezeigt und gestreamt wird. Mini-München habe auch einen eigenen Radiosender und dann sei da noch die tägliche Ausgabe der MiMüZ, „da stehen ganz interessante Sachen drin, das denken sich die Reporter aus“. Beim Film oder Fernsehen zu arbeiten stellen die Jungs sich auch cool vor. Mal sehen, vielleicht klappt es noch in diesem Jahr mit einem Job dort, sie wollen ja zwei ganze Wochen mitspielen. „Nur für einen Tag lohnt es sich nicht“, findet Linus. „Kann man schon machen, aber wenn man für eine Woche kommt und eine zweite Woche bleiben kann, ist es am coolsten, dann kennt man sich schon ein bisschen aus“, sagt Wendelin. 

Das mit dem Auskennen ist gar nicht so leicht in der 35.000 Quadratmeter großen Spielstadt, in der täglich bis zu 2.000 Bürgerinnen und Bürger ihren Geschäften nachgehen. Klar seien die Kinder anfangs unsicher und eingeschüchtert, sagt Andreas K., aber es gehöre zum pädagogischen Konzept, dass sie sich ihre Orientierung eigenständig und mithilfe anderer Kinder erarbeiteten. Dafür würden Stadtführungen und ein Kennenlernspiel angeboten – die Jüngsten kämen aber meist ohnehin mit ihren älteren Geschwistern. Eine Elternbegleitung ist in Mini-München dagegen nicht vorgesehen. Es gibt zwar ein Eltern-Visum, das ist aber nur eine Stunde gültig. In der Stadt herumlaufende Kontrolleure – auch das ein begehrter Job – weisen die Erwachsenen nach Ablauf des Visums aus.

Alle zwei Jahre findet das Ferienprojekt an drei Wochen statt und hat inzwischen viele Nachahmer gefunden.

Bei Mini-München können Kinder die Stadt aktiv gestalten

Wendelin und Linus sind gespannt darauf, was es dieses Jahr Neues geben wird. Denn wie jede lebendige Stadt verändert sich auch Mini-München permanent, da die Kinder stetig neue Ideen, Vorstellungen und Wünsche in ihre Stadt hineintragen. Die stärksten Impulse gingen zuletzt von Klimakrise und Digitalisierung aus, erzählt Andreas K. So wurden etwa ein Repair Café und ein Klimaschutz-Zentrum gegründet, die Nachhaltigkeitszertifizierung der Betriebe in Angriff genommen, das Banksystem und Teile der Verwaltung digitalisiert. Steuererklärung, Jobeinstellung und -kündigung sind nun online möglich, diesen Sommer könnte es auch eine elektronische Kontokarte und einen Geldautomat geben. „Den Kindern und Jugendlichen mit Mini-München zu vermitteln, dass sie die Stadt, in der sie leben, aktiv mitgestalten können“, ist laut dem Spielstadt-Mitgründer Gerd Grüneisl eines ihrer zentralen Anliegen. Der Feuereifer, mit dem alle zwei Jahre Zigtausende Münchner Schülerinnen und Schüler in den Ferien hier freiwillig arbeiten und lernen, zeigt, dass ihnen das gelungen ist. 

Und was ist aus Wendelins und Linus’ Sicht das Tollste an der Spielstadt? Hier sind sich die Jungs einig: „Eigenes Geld verdienen, damit Sachen kaufen – auch Aktien! –, Stadtrat oder Bürgermeister werden, halt einfach Erwachsensein spielen, das ist das Coolste dabei.“ 

Ansicht Muenchen Marienplatz

Weitere Infos:

Mini-München wurde 1979 vom Kultur und Spielraum e. V. ins Leben gerufen und gilt als Modellprojekt für kulturelle Bildung. Die Idee, junge Menschen spielerisch an die demokratische Mitbestimmung heranzuführen, sie durch eigenes Tun mit dem Wirtschaftsgeschehen vertraut zu machen, ihnen einen Raum zu geben, wo sie Kompetenzen erwerben, Eigeninitiative entwickeln und Verantwortung übernehmen können, hat weltweit über 300 Nachahmer gefunden, auch viele in Deutschland und Österreich. Das nächste Mini-München findet in den Sommerferien 2026 statt. Genaue Daten und Anmeldungen findet ihr hier.

Bildquelle: Getty, Mini Muenchen (PR)

Dieser Artikel erschien erstmals in Ausgabe 104

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