So funktioniert Demokratie: Tipps zur politischen Bildung von Kindern

Eltern, Erziehung, Familie

Politische Bildung von Kinder kommt viel zu kurz – sagt der frühere “Mr. Tagesthemen” Ulrich Wickert. In seinem Sachbuch ruft er junge Menschen zu Engagement und Mitbestimmung auf. Wir haben mit ihm über Demokratieerziehung in Familie und Schule gesprochen.

Lieber Herr Wickert, denken Sie die Kinder haben heute weniger Ahnung von Politik als in anderen Zeiten?

Ulrich Wickert: Ich fand es wichtig, dieses Buch zu schreiben, weil Kindern das Thema nicht genug nahegebracht wird. Das merke ich immer wieder. Ich finde es auch furchtbar, dass man in manchen Bundesländern Geschichte in der Oberstufe abwählen kann. Das ist eine Katastrophe! Wenn wir in einer Demokratie sind, müssen wir Demokratie auch lehren. Das war der Grund. Ich habe bereits 2002 ein vergleichbares Buch geschrieben, „Politik für die nächste Generation“. Dieses jetzt ist viel moderner.

Das Buch ist ein wenig in Häppchen aufbereitet, was das Lesen einfacher macht. Meinen Sie das?

Ulrich Wickert: Ja, denn ich glaube nicht, dass junge Leute sich so ein Buch von vorne bis hinten durchlesen. Sondern vielmehr eher fragen: Was ist denn Politik? Was ist denn Freiheit? Deswegen gibt es im Buch diese verschiedenen Arten des Herangehens. Ich erkläre ein Thema in einem Text und dann gibt es eine Reihe von unterhaltsamen Dingen, Comics und Zusatzinfos. So sind heute ja auch moderne Schulbücher gemacht.

Wenn wir in einer Demokratie sind, müssen wir Demokratie auch lehren.

Sie zitieren auch Gregor Gysi im Buch mit den Worten: “Die Schulen müssen Kinder und Jugendliche intensiver an Politik heranführen”. Hier sind Sie mit ihm also einer Meinung?

Ulrich Wickert: In dem Punkt bin ich unbedingt einer Meinung mit ihm. Ich selber habe mich als junger Mensch, als ich so 15, 16 war, an der Schule für Politik interessiert und damals eine politische Arbeitsgemeinschaft gegründet. Dort haben wir gelernt, wie wir unsere Interessen wahrnehmen. Denn das ist ja genau das, was Politik ist. Politik ist nicht der Bundestag oder die Regierung. Politik ist, wenn ich in der Schule sage, das Essen in der Mensa ist schlecht, ich möchte besseres Essen haben.

Wir bringen in dem Buch auch das Beispiel von einem Schüler, der politisiert wurde, weil sie in seiner Klasse über viel zu kleine Stühle und Tische gesprochen und das kritisiert haben. Genau das ist es! Erst einmal meine Interessen wahrnehmen, dann das, was mich stört, versuchen durch Handeln zu verändern. Das müssen junge Menschen lernen. Dass es nicht darum geht, über Europawahlen abstimmen zu dürfen. Es ist wunderbar, dass sie das jetzt ab 16 Jahren dürfen, aber es ist ja ein sehr weiter Schritt bis dahin. Erst einmal muss ich lernen, was Politik ist. Und als Nächstes, warum es Regeln in der Politik oder im Leben gibt. Oder was Freiheit ist. Darum erklären wir in einem Kapitel: „Freiheit ist eine Vision“. Damit klar wird, Freiheit ist ein Traum. Die totale Freiheit gibt es nicht, denn allein schon wenn ich Hunger habe, bin ich gezwungen, Essen zu besorgen. 

Aber auch zu erklären, dass es Beschränkungen gibt, weil meine Freiheit eben bis zur Freiheit des anderen reicht, das ist wichtig. Was ist Toleranz, was ist Gerechtigkeit …? Den jungen Menschen klarmachen, was die wichtigen Dinge in ihrem Leben sind, das in einer Gemeinschaft stattfindet.

Wie könnte ein schulisches Heranführen konkret aussehen? Reicht eine Verfassungsviertelstunde, wie in bayerischen Schulen?

Ulrich Wickert: Das ist ein Ansatz, aber natürlich reicht der überhaupt nicht. Deswegen sollten die Schüler lernen, dass sie an der Schule mitbestimmen können. In dem Moment, wo sie begriffen haben, dass sie mitbestimmen können, wissen sie was Politik ist, wie Politik funktionieren kann, wo die Ansätze sind. Es reicht nicht, so etwas theoretisch zu erklären, man muss es auch praktisch umsetzen. 

Aber Kinder an deutschen Schulen merken ja erst einmal, dass kein Geld da ist. Zu wenig Lehrer, zu wenig Ausstattung, kaum Digitalisierung, wenig Chancen auf Abitur für Kinder mit Migrationshintergrund. Wie soll man ihnen vermitteln, dass der Staat – also wir alle – nur ihr bestes im Sinn hat?

Ulrich Wickert: Auch das müssen sie lernen und wir müssen den Kindern erklären, wie so ein System funktioniert. Wenn sie sagen, ich bin mit verschiedenen Dingen nicht einverstanden, dann gehen wir weiter, über die Schule hinaus. Wir sehen ja, dass das funktioniert. Fridays for Future ist eine Organisation von Jugendlichen, von Schülerinnen und Schülern, die wissen, es reicht nicht, dass uns die Politik etwas erklärt. Da müssen wir handeln und zwar zur Not weit über die Schule hinaus. 

Was halten Sie grundsätzlich davon, dass Jugendliche schon ab 16 Jahren an Wahlen teilnehmen dürfen?

Ulrich Wickert: Ich finde das sehr gut. Einige Leute sagen, die sind ja noch gar nicht reif dafür. Darauf antworte ich immer: Dann müssen wir sie eben reif dazu machen. Meine jüngsten Kinder sind zwölf Jahre alt und ich diskutiere viel über Politik mit ihnen. Sie verstehen viel, aber sie gucken auch jeden Abend die Sendung „logo“. Das heißt, sie wissen schon ziemlich gut, was in der Politik passiert, wer Putin ist, was in der Ukraine los ist und sie kriegen auch mit, wenn es Demonstrationen gibt. Es ist ganz wichtig, dass wir jungen Leuten klarmachen, wie sie an gute Informationen kommen und woran sie erkennen, was gute Informationen sind. Das gehört heute zur Erziehung. 

Klar, aber wir sprechen bei Ihnen ja zum Beispiel von einem Elternhaus, wo das fast schon zwangsläufig stattfindet …

Ulrich Wickert: Ja schon, aber dann müssen wir die anderen Elternhäuser dazu bringen, dass sie sich auch um diese Dinge bemühen. Dieses Buch müssen Eltern und Großeltern den Kindern schenken und dann gemeinsam mit den Kindern darin arbeiten.

Bei den letzten Wahlen haben viele junge Menschen die AfD gewählt. Hat Sie das verwundert?

Auf der einen Seite hat mich das verwundert. Auf der anderen Seite ist es so, dass viele Menschen – nicht nur junge Leute – sich nicht mehr an Organisationen oder Parteien binden. Während die FDP und die Grünen bei der Bundestagswahl 2021 einen großen Zulauf von jungen Wählern hatten, haben sich jetzt viele in eine andere Richtung bewegt. Das liegt daran, dass sie sehr individuell entscheiden: Was empfinde ich, was stört mich und wer bietet mir jetzt die einfachsten Lösungen?

Ich wünsche mir, dass die Grundsätze der Demokratie vermittelt werden, die anfangen mit dem Respekt vor der Würde des Menschen.

Das Thema Ehrenamt und Engagement kommt in Ihrem Buch oft vor und Sie sagen, das sei der erste Schritt zur Politik. Sind Sie auch ehrenamtlich engagiert?

Ulrich Wickert: Ja, ich bin in ganz vielen Vereinen engagiert, so etwa für die Organisation „Schüler helfen Leben“. Das ist ein sehr guter Verein und denen besorge ich zum Beispiel einmal im Jahr für ihre Organisation kostenlose Anzeigen. Ich bin aber noch in vielen anderen Vereinen ehrenamtlich tätig.

Sie propagieren in Ihrem Buch soziales Engagement. Aber reicht es denn, wenn ich die Kinder “nur” in den Sportverein schicke?

Ulrich Wickert: Na ja, das ist doch schon mal etwas, dann sind sie zumindest in einer Gruppe. Dort entwickele ich ein Gemeinschaftsgefühl, wenn ich Fußball oder Volleyball oder Handball spiele. Das ist eine ganz gute Schule, denn in der Gemeinschaft bin ich nicht alleine, sondern muss mich arrangieren. Und genau das muss ich lernen: Eine Gemeinschaft bedeutet, ich muss Rücksicht nehmen, ich muss Respekt den anderen gegenüber haben.

Was raten Sie Eltern, die wollen, dass sich ihre Kinder engagieren?

Ulrich Wickert: Sie sollten den Kindern erklären, warum das gut ist, und ihnen den Zugang eröffnen. Es hängt natürlich auch vom Interesse der Kinder ab, für welche Thematik sie sich begeistern. Dann kann man sagen: Guck mal hier, das wäre doch etwas, wo du dich engagieren könntest.

Machen Sie etwas Spezielles mit Ihren Kindern in Sachen politischer Bildung?

Ulrich Wickert: Also wenn ich kann, dann gucke ich mit ihnen zusammen „logo“. Das heißt, man diskutiert dann auch im Anschluss. Und das Wichtigste ist, dass man Kinder ernst nimmt, genauso ernst wie andere Erwachsene, und mit ihnen nicht eine Kinderdiskussion anfängt, sondern eine Erwachsenendiskussion.  

Zum Abschluss: Was wäre Ihnen beim Thema politische Bildung für Kinder ganz fundamental wichtig? Gibt es da etwas Zentrales?

Ulrich Wickert: Ja. Ich wünsche mir, dass die Grundsätze der Demokratie vermittelt werden, die anfangen mit dem Respekt vor der Würde des Menschen.

Zur Person:

Ulrich Wickert ist einer der bekanntesten politischen Journalisten und Autoren Deutschlands. Lange Jahre berichtete er für die ARD aus Washington, New York und Paris. 15 Jahre lang moderierte er die Tagesthemen und hat zahlreiche Sachbuch-Bestseller geschrieben.

Bildquelle: Getty, privat, PR

Dieser Artikel erschien erstmals in Ausgabe 105

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