Gestaltung auf Augenhöhe: das Architekturbüro baukind realisiert mit viel Liebe zum Detail Bauprojekte für Kinder. Wir haben die Gründerin Nathalie Dziobek-Bepler zum Gespräch getroffen
Wie kam es dazu, dass du Baukind gegründet hast? Architektur für Kinder ist wahrscheinlich kein Thema, was schon im Studium viel Beachtung erhält…
Nein, genau – im Studium gibt es mit dem Thema so gut wie keine Berührungspunkte. Unser erstes Projekt hat sich in der Kita unserer Kinder ergeben. Meine Freundin Lea Kleemann, die Produktdesignerin ist, und ich wurden gebeten, die Kita bei der Sanierung zu unterstützen. Aus ein „bisschen unterstützen“ ist schnell ein richtiges Projekt geworden. Dabei haben wir gemerkt, dass wir uns eine ganz eigene Expertise aneignen, denn so ein Bauprojekt für Kinder hat wirklich ganz andere Anforderungen als ein reguläres Projekt. Diese Expertise wollten wir dann nicht ungenutzt lassen und haben entschieden, weiter zusammen zu arbeiten. Durch persönliche Empfehlungen hatten wir dann auch schon innerhalb weniger Zeit die nächsten Folgeaufträge. Zeitgleich haben wir uns für den Kultur- und Kreativpiloten-Preis beworben, der jedes Jahr von der Bundesregierung an 32 Unternehmen vergeben wird. Einen dieser Preise haben wir dann auch gewonnen. Es ist kein Geld-Preis, sondern man gewinnt ein Coaching. Das hat uns in den ersten 2 Gründungsjahren wirklich enorm geholfen! Da wurde uns klar – das ist genau das richtige für uns.
…es hat sich also langsam entwickelt?
Ja, ich war bei dem ersten Projekt eigentlich noch festangestellt, anfangs in Elternzeit. Insgesamt 6 Jahre haben Lilia Kleemann und ich die Firma gemeinsam geführt, aber vor 3 Jahren haben wir uns getrennt und Lilia hat sich mit Kindermöbeln selbstständig gemacht und die Marke papoq gegründet. Seitdem leite ich baukind alleine, und wir sind inzwischen ein Team von 15 MitarbeiterInnen. Außer Kitas haben wir auch schon Schulen gebaut und saniert, Kinderarztpraxen ausgebaut und auch schon mal ein Familienhotel geplant. Also alles, was im weitesten Sinne Architektur für Kinder ist.
Was ist der Unterschied zwischen einem „regulären“ Bauprojekt und einem für Kinder? Wie geht ihr an ein Projekt heran?
Wie immer bei einem Architekturprojekt schauen wir uns natürlich zuerst die Nutzer*innen an, und arbeiten dann bei der Planung eng mit ihnen zusammen. Das ist erst mal gleich. Da Kinder aber nicht nur von der Skalierung her kleinere Erwachsene sind, sondern ihre ganz eigenen Bedürfnisse und Wünsche haben, ist es eine ganz andere Planung im weiteren Verlauf. Der Untertitel des Buches „Gestaltung auf Augenhöhe“ ist dabei wirklich unser Leitsatz. Wir nehmen bei der Planung und Gestaltung tatsächlich die Perspektive der Kinder ein. Unsere Architektur soll Kinder in ihrer Entwicklung begleiten und unterstützen – die Entwicklung von Selbstständigkeit, Selbstbewusstsein, Kommunikationsfähigkeit und Sozialkompetenz sind alles Aspekte, die man mit der Raumgestaltung fördern kann. Wenn wir einen Kindergarten planen, gehen wir natürlich auch ganz stark auf das jeweilige Pädagogik-Konzept ein. Zwar gibt es in der Regel eine große Schnittmenge, aber eben auch besondere Projekte wie Waldkindergärten oder Waldorfkindergärten. In einem Montessori-Kindergarten, wo ja ganz besonders viel Wert auf die Selbstständigkeit gelegt wird, richten wir auch besonders den Fokus auf eine Gestaltung, die dieses in allen Bereichen fördert.
Abgesehen vom pädagogischen Konzept gibt es bei jedem Kindergarten oder Schulprojekt immer einen Spagat zwischen Sicherheitsansprüchen und Möglichkeiten, die Kinder herauszufordern. Eine Kletterebene zum Beispiel muss einerseits sicher sein, aber auch spannend genug für Kinder bleiben. Noch ein großer Unterschied zur Architektur für Erwachsene ist, dass wir Kinder zu Bewegung anregen wollen. Wie wir aus diversen Forschungen wissen, ist die Entwicklung des Gehirns ja ganz eng an die Entwicklung des Bewegungsapparates gekoppelt. Dabei geht es nicht um Sport, sondern um Bewegung ganz allgemein. Die Entwicklung der Feinmotorik etwa durch haptische Elemente, oder die Möglichkeit irgendwo im Kreis zu laufen, so dass die Bewegung nicht gestoppt wird.
Bedingt durch die unterschiedliche Körpergröße ist es dann auch sicher nötig, einiges individuell anfertigen zu lassen. Man kann ja beim Bauen sicherlich auf viele Standard-Elemente nicht zurückgreifen kann, oder?
Sonderanfertigungen sind nicht unbedingt nötig, aber wir finden es natürlich sehr spannend, auch mal Kindertüren einzubauen und kleine Höhlen zum Verstecken. Natürlich muss man dann auch daran denken, dass Erwachsene überall Zugang benötigen – sei es zum reinigen oder um mal irgendwo ein Kind heraus zu holen. Womit wir schon bei einem nächsten wichtigen Punkt sind – wir wollen, dass sich Kinder UND Erwachsene in unseren Räumen wohl fühlen und damit zurechtkommen. Denn die Erzieher*innen, die Eltern oder das Küchenpersonal sind selbstverständlich ebenfalls unsere Nutzer*innen.
In der Regel steht das pädagogische Konzept der jeweiligen Kita bereits fest bei der Planung, und die Gestaltung wird entsprechend ausgerichtet. Haben eure Gestaltung oder eure Ideen auch schon mal einen Einfluß auf das Konzept gehabt?
Von allem etwas, hier kommt es ganz stark auf die Kund*innen an. Manche lassen einem weniger Spielraum, vor allem wenn es Bauherren sind, die schon 30 Kitas eingerichtet haben. Neugründer*innen dagegen sind häufig offen für neue Ideen. Ich freue mich da sehr drüber, denn wir haben schließlich inzwischen eine sehr große Expertise auf dem Gebiet und haben auch eine eigene pädagogische Haltung entwickelt, mit der wir dann beratend zur Seite stehen.
Auch Wände können zur Gestaltung genutzt werden! Von links nach rechts: Klanginstallation, Webrahmen, Murmelbahn.
In manchen Bauprojekten richtet ihr besondere Elemente wie Klanginstallationen ein. Entwickelt ihr solche Projekte zusammen mit einem Instrumentenbauer? Wie sieht euer Netzwerk an Experten sonst so aus?
Für kleinkindliche Musikpädagogik ist es gar nicht so wichtig, dass eine Klanginstallation wie ein Instrument funktioniert oder klingt. Da geht es einfach um den Klang an sich, um das ausprobieren und die Erfahrung. Es darf also experimentell sein.
Aber grundsätzlich haben wir ein großes Netzwerk an Expert*innen und pflegen auch einen regelmäßigen Austausch im Rahmen unseres baukind-Salons. Der findet ein- bis zweimal im Jahr statt, und wir laden dann eine kleine Gruppe von Kreativschaffenden aus den unterschiedlichsten Bereichen ein – Lehmbau, Grafikdesign, Glasbläserkunst oder auch Weidenflechten, um mal ein paar Beispiele zu nennen. So knüpfen wir Kontakte, um dann irgendwann vielleicht zusammenzuarbeiten. Wir stellen unser Netzwerk also ganz breit auf und regen damit neue Ideen an.
Was war das ungewöhnlichste Projekt, was ihr umgesetzt habt?
Da fallen mir zwei ein. Eins davon haben wir gerade fertig gestellt, davon gibt es leider noch keine Bilder. Wir haben fast drei Jahre an dem Umbau eines alten, denkmalgeschützten Schwimmbads gearbeitet, in dem eine große Kita entstanden ist. Statt Hochebenen haben wir hier Tiefebenen in die alten Schwimmbecken gebaut. Als normalen Raum hätte man diese aufgrund des fehlenden Lichtes nicht nutzen können, so haben sie noch einen spielerischen Nutzen bekommen. Das andere besonders spannende Projekt war die „Kita Sinneswandel“, in der gehörlose Kinder betreut werden. Auch ein Großteil des Personals ist gehörlos. Da sind wir als Architektinnen zu Anfang in eine ganze andere Welt abgetaucht, die viele spannende Seiten hat. Da es bei der Orientierung, Kommunikation und Nutzung der Räumlichkeiten nicht auf das Gehör ankommt, sondern vor allem auf Sicht, haben wir hier ganz andere visuelle Elemente eingebaut. Es gibt zum Beispiel an manchen Stellen kleine Innenfenster, so dass man sehen kann, wenn jemand um die Ecke kommt. Alles was normalerweise akustisch funktioniert wie Babyphone oder Brandmelder, funktioniert dort nun mit optischen Signalen, teilweise waren hier Sonderanfertigungen nötig. Das war ein wirklich aufwändiges, aber sehr spannendes Projekt.
In den von baukind gestalteten Räumen wird besonders viel Wert auf Bewegungsmöglichkeiten gelegt – drinnen wie draußen.
In eurem Buch beschreibst du deine Traumkita, in der vor allem die sozialen Aspekte eine Rolle spielen würden…
Ja, das finde ich total wichtig! Besonders generationenübergreifendes Miteinander wieder mehr zu fördern, liegt mir sehr am Herzen. Leider haben sich bei uns in der Gesellschaft die einzelnen Gruppen total isoliert voneinander. Kinder und alte Menschen zusammen zu bringen, ist dementsprechend ein Traumprojekt von mir. Es gibt bereits ein paar wenige Pilotprojekte, aber in der Realität scheitert es dann wie so oft an bürokratischen Dingen. Der eine Bauträger darf zum Beispiel nur Geld für Projekte für Kinder ausgeben, oder es wäre problematisch, Kosten für gemeinsam genutzte Räume zu verteilen. Neben diesem Aspekt wäre es mir außerdem sehr wichtig, dass es gleich viele Erzieherinnen wie Erzieher in der Kita gibt. Wie soll es eine gleichberechtigte Gesellschaft geben, wenn den Kindern schon in der Kita vorgelebt wird, dass Erziehung und Kinderbetreuung Frauensache sind? Nach der Familie ist es doch der nächste logische Schritt, es den Kindern hier vorzuleben.
Wenn man sich eure Entwürfe so anschaut, wünscht man sich, dass der öffentliche Raum auch so vielfältig und kinderfreundlich gestaltet ist, etwa auf Plätzen in Innenstädten. Könntet ihr euch so etwas auch als Bauprojekt vorstellen?
Ja, auf jeden Fall! Seit 3-4 Jahren gestalten wir auch immer öfter die Außenräume mit, bei den Neubauten sowieso. Wir kämpfen da schon immer dafür, dass die Zaungrenze etwas zurückverlegt wird, so dass vor dem Zaun noch ein kleiner Vorplatz entsteht. Dieser kann dann auch von der Nachbarschaft genutzt werden, oder von den Eltern beim Abholen. Das mitzudenken macht uns sehr viel Freude, und wäre sicher ein Projekt was wir gerne mal im großen Rahmen umsetzen würden.
Welche Tipps würdest du einer Familie geben, die ihr Haus kinderfreundlich gestalten will? Welche Elemente euer bisherigen Projekte eigenen sich zum Beispiel auch fürs Kinderzimmer?
In der kleinen Skalierung gilt das gleiche wie in der großen Skalierung. Kinder zu Bewegung anzuregen, finde ich besonders wichtig. In der Kita ist das noch etwas leichter, denn dort gibt es zum Beispiel keine Ablenkung durch Bildschirme. Hier gilt es also besonders im privaten Raum, Alternativangebote zu schaffen – auch im gemeinsam genutzten Wohnzimmer. Dort kann es vielleicht eine Schaukel geben – die einfachste Variante wäre ein Gummischlauch, der von der Decke hängt. Elemente wie Bodenkissen oder Polsterwürfel, die zum Höhlenbau verwendet werden können, finde ich ebenfalls sehr empfehlenswert. Dann legen wir bei unseren Projekten auch immer Wert drauf, dass Kinder die Umgebung mitgestalten können. Ich habe zuhause zum Beispiel eine Wand, auf die dürfen die Kinder malen. Alle zwei Jahre streichen wir sie dann wieder weiß. Wenn diese Mitgestaltung in einem gesetzten Rahmen stattfindet, kann man sie zu einem visuellen Gestaltungselement machen, das auch Eltern gefällt.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Nathalie!