Kann eine Schweigeminute zum Politikum werden? Ja, sie kann. Regisseur Lars Kraume erzählt in seinem Film “Das schweigende Klassenzimmer” die wahre Geschichte einer Schulklasse in der ehemaligen DDR, die sich 1956 mit den ungarischen Freiheitskämpfern solidarisiert und im Unterricht eine Schweigeminute abhält. Die Folge: Die gesamte Klasse wird vom Abitur ausgeschlossen. Wir haben mit den Schauspielern Florian Lukas und Ronald Zehrfeld über ihre Kindheit und Jugend in der DDR, Zusammenhalt und Mut gesprochen.
Ihr seid beide ein Ostberlin geboren und aufgewachsen. Spielt eure eigene Biografie eine Rolle, wenn ihr in einem Film wie “Das schweigende Klassenzimmer” mitspielt?
Ronald Zehrfeld: Ich bin 1977 geboren, also viel später als die Protagonisten im Film. Aber was ich nachvollziehen kann, ist, in einem System zu leben, in dem man sich nicht frei entwickeln und sein Leben leben kann. Dann geht es darum, sich den Bedingungen entweder anzupassen und sie zu ertragen oder sich zu wehren und eine Entscheidung zu treffen. So gravierend habe ich das als Kind und Jugendlicher nicht erlebt. Aber die Gedanken: „Wofür stehe ich ein? Was sind meine Überzeugungen?“ mache ich mir natürlich auch und kann sie gut nachempfinden.
Hättet ihr euch als Schüler damals ähnlich verhalten? Hättet ihr euch getraut, die Flucht in den Westen zu wagen?
Florian Lukas: Ich weiß es nicht. Ich hatte auch noch sehr autoritäre Lehrer in der DDR und habe diese staatstreuen Pädagogen dort erlebt. Ich erinnere mich, dass ich mit ihnen viel diskutiert habe und dass es schwierig war, unter den Mitschülern Mehrheiten für bestimmte Dinge zu finden. Aber dann ging es mit der DDR auf einmal ganz schnell vorbei. Ich bin 1973 geboren, 1989 kam die Wende. Rückblickend finde ich es also schwierig zu sagen, ob ich so einen Schritt gewagt hätte.
Wir habt ihr eure Kindheit und Jugend in der DDR erlebt? Woran erinnert ihr euch noch besonders?
Ronald Zehrfeld: Ich war natürlich, wie alle, bei den Jungen Pionieren, „Seid bereit, allzeit bereit“. Und ich kann mich auch noch an bestimmte Serien oder Kinderbücher erinnern, die ich damals geliebt habe und die prägend waren. „Timur und sein Trupp“ war ein Buch, das ich als Schüler gelesen habe. Da geht es um Solidarität und Nachbarschaftshilfe. Die Digedags waren Comicfiguren in der DDR, die Hefte mochte ich sehr. Auch die Abrafaxe. Oder auch die Bummi-Heftchen. Die waren für kleinere Kinder, die habe ich tatsächlich mal binden lassen und an meine Tochter weitergegeben. Die fand sie total abgefahren.
Florian Lukas: Ich würde nicht unbedingt sagen, dass ich eine typische DDR-Prägung habe. Ich habe viel Westfernsehen geguckt und Musik aus dem Westen gehört. Für mich und meine Freunde war alles, was aus dem Osten kam, provinziell und spießig. Natürlich war das ein Widerspruch: In der Schule wurden wir getrimmt auf die DDR-Helden, nach dem Unterricht haben wir Serien geguckt und Westmusik gehört. Der popkulturelle Unterschied zwischen Ost und West ist bei mir also nicht so ausgeprägt.
Kanntet ihr denn die wahre Geschichte, um die es in “Das schweigende Klassenzimmer” geht?
Nein. Aber es hat mich sehr berührt, wie diese Klasse mit ihrem Schweigen protestiert hat und welche Kreise das dann gezogen hat. Heutzutage ist es ja eher das permanente „sich äußern“ auf allen Kanälen, das zählt und das einem auch schnell zum Verhängnis werden kann. Ein falscher Hashtag, und schon steht man in der Kritik. Neben dem Akt des Widerstands beschäftigt sich der Film ja auch mit dem Thema Meinungsfreiheit und Solidarität. Die Meinungsfreiheit, das wissen wir alle, ist momentan in vielen Ländern gefährdet. Wie die Schüler zusammenhalten, zu ihrer Meinung stehen, sich nicht gegenseitig verraten, obwohl sie massiv unter Druck gesetzt werden – das hat mich beeindruckt, und genau deshalb erzählen wir diese Geschichte.
Ronald Zehrfeld: Ich kannte die Geschichte vorher auch nicht und war wirklich überrascht. Meine Eltern wussten davon, bei ihnen habe ich dann nochmal nachgefragt. Es war für mich auch spannend, die Schüler von damals zu treffen und mit ihnen über die Ereignisse und ihre Flucht in den Westen zu sprechen.
In “Das schweigende Klassenzimmer” geht es um Freundschaft, Solidarität, Mut und Zivilcourage. Wie wichtig ist es euch, euren Kindern solche Werte mitzugeben?
Ronald Zehrfeld: Meine Tochter ist neun. Ich will ihr nicht sagen: So und so sieht die Welt aus, fertig. Sie soll mit offenen Augen und wachem Verstand durch die Welt gehen und ihre eigenen Erfahrungen machen. Das ist manchmal mit Schmerz verbunden, klar. Wie bei der ersten großen Liebe. Ohne Enttäuschungen und Niederlagen geht es nicht. Aber das gehört zum Leben. Den Zusammenhalt der Schüler im Film und ihre Solidarität untereinander finde ich beeindruckend. Das vermisse ich in der heutigen Zeit manchmal. Aber vielleicht geht es uns dafür auch immer noch zu gut. Gerade in Krisenzeiten merken die Menschen ja erst, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten und sich gegenseitig zu helfen statt immer nur um die eigene Person zu kreisen.
Florian Lukas: Meine Kinder sind inzwischen erwachsen. Aber ich habe auf jeden Fall versucht, sie zum selbstständigen Denken und Handeln aufzufordern. Das sorgt natürlich auch für Auseinandersetzungen, denn ich selber bin auch so. Dann prallen eben auch mal unterschiedliche Standpunkte aufeinander. Trotzdem finde ich es ganz wichtig, dass sie ihre eigene Meinung haben und zu der auch stehen und sie durchzusetzen. Bei uns war nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Aber trotzdem hatten sie natürlich auch immer das Gefühl, dass sie geliebt werden und gut sind, so wie sie sind. Darauf kommt es an. Es geht nicht darum, es immer allen anderen Recht zu machen. Sondern es lohnt sich, für sich und seine Überzeugung einzustehen.
“Das schweigende Klassenzimmer” von Lars Kraume mit Leonard Scheicher, Tom Gramez, Florian Lukas, Ronald Zehrfeld, Jördis Triebel, Michael Gwisedek, Burghardt Klaußner und anderen startet am 1. März 2018 in den Kinos.
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