Die Entwicklung neuer Computerspiele ist eine Wachstumsbranche. Jedes Jahr gibt es Neuigkeiten und Fachleute prophezeihen, dass die Spiele noch realitätsnaher werden. Stimmt das? Wie werden Computergames für Kinder im Jahr 2050 aussehen? Wir haben Björn Schreiber dazu befragt. Er ist Referent für Medienbildung bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM e. V.) und arbeitet dort an der Schnittstelle zwischen Jugendschutz in digitalen Medien und Medienbildung.
„World of Warcraft“ galt lange als Nerdspiel. Jetzt kommt sogar ein Film dazu in die Kinos. Wohin geht die Entwicklung?
Digitale Spielewelten haben sich seit ihrem ersten Auftreten stetig weiterentwickelt und sind inzwischen unumstrittener Teil einer – nicht nur digitalen – Kultur. Wurden sie vormals eher belächelt und einer kleinen, meist männlichen Zielgruppe zugeordnet, deren Image als Nerd wenig schmeichelhaft war, so sind inzwischen Symbole, Konnotationen und Anspielungen aus der Gaming-Welt auch in der „realen“ kulturellen Welt angekommen. Nicht erst mit der ersten Verfilmung eines Computerspiels 2001 („Lara Croft: Tomb Raider“) sind Kunst und Medien durch Computerspielästhetik – wie z.B. schnelle Schnittfolgen, Farb- und Bilderwelten – beeinflusst. Auch digitale Spielewelten selbst tragen zu der Vermischung realer und virtueller Welten bei, indem sie Themen, Erfahrungen und Bedürfnisse aufnehmen und verarbeiten. Sie stellen somit ein Spiegelbild von Zeitgeist und gesellschaftlichen Veränderungsprozessen dar.
Zudem trägt die Nutzung von Onlinespielen selbst zu einer Vermischung mit der „realen“ Welt bei: Nutzer sind in Gemeinschaften oder Gilden organisiert, kommunizieren miteinander und tauschen sich auch über Landesgrenzen oder Sprachbarrieren hinweg aus.
Wird die Distanz zwischen realer und digitaler Welt generell immer kleiner werden?
Diese Grenzen lösen sich zunehmend auf. Besonders Jugendliche unterscheiden nicht mehr zwingend zwischen „real“ und „digital“. Freundeskontakte werden nach dem Schulschluss in sozialen Netzwerken oder eben in einer Onlinespiele-Community weitergeführt und somit auch als Sozial-, Kommunikations- und Lebensräume erfahren und gelebt.
Zum Thema „Lernspiele“: Könnte es sein, dass Computerspiele und -systeme irgendwann Lehrer an Schulen zumindest zum Teil ersetzen werden?
Das so genannte Game-based Learning ermöglicht – natürlich je nach Qualität des Angebotes – einen explorativen Zugang zu Wissens- und Lerninhalten. Dieser ist nicht stringent, sondern bietet zahlreiche Anreize und Methoden, ein Thema zu erschließen. Das Prinzip des Spielens ist Kindern und Jugendlichen bekannt, ermöglicht im besten Falle eine engagierte und emotionale Beteiligung und kann so die Motivation und Lernbereitschaft fördern. Das Game-based Learning sollte jedoch immer nur dann eingesetzt werden, wenn es den gewünschten Lerninhalt auch sinnvoll vermitteln kann. Doch gerade weil pädagogische Prozesse nicht linear und einheitlich verlaufen, sondern individualisiert, ist es nicht wahrscheinlich, dass Lehrer an Schulen durch Lernspiele ersetzt werden. Sie sind Ansprechpartner, Kommunikator, Vertrauensperson und Vermittler für Schüler, sodass ihre Rolle nicht durch digitale Mittel ersetzt werden kann. Lernspiele, aber auch andere digitale Tools sind vielmehr Unterstützer für Lehrer und Schüler, um sich Inhalte und Wissen zu erschließen.
Wenn Sie die aktuellen Entwicklungen betrachten und diese auf die nächsten 30 Jahre übertragen, was gibt es dann Neues?
Nicht alles, was Marty McFly in „Zurück in die Zukunft“ erproben und erleben durfte, konnte bisher umgesetzt werden. Aber die derzeitigen technischen Trends und Gehversuche, besonders im bereits mehrfach erwähnten Bereich der Augmented Reality, sind Anzeichen für zukünftige Entwicklungen. Gaming wird individualisierter und auf die Bedürfnisse des einzelnen Konsumenten bezogen. Besonders Sensorentechnik, die Gefühlsregungen und Stimmungen erkennen kann, wird dazu betragen. Wenn etwa Musik und Lichtverhältnisse oder das Geschehen selbst auf den jeweiligen Nutzer und seine Gemütslage angepasst werden können, intensiviert sich so das Spielerlebnis. Dies geht über derzeitige Ansätze mit Virtual- oder Augmented-Reality-Brillen hinaus, das heißt umfasst die Gesamtheit des Spielers. Er wird sich mit allen Sinnen in die Spielewelt begeben – eine Entwicklung vom Couch-Potato zur aktiven Teilhabe und Gestaltung. Insofern ist ein Holodeck, wie wir es aus „Star Trek“ kennen, keine allzu ferne Zukunftsidee.
Illustration: Daphne Braun