Emotionale Intelligenz bei Kindern ist für die Entwicklung entscheidend. Schließlich wollen wir Eltern, dass aus den Kleinen mitfühlende Erwachsene werden, die Probleme erkennen und selbständig lösen können. Wir haben mit der Bildungswissenschaftlerin Sibel Attili über den EQ gesprochen und haben sechs einfache Erziehungs-Tipps, wie ihr den EQ eurer Kinder fördern könnt…
Natürlich wollen wir, dass unsere Kinder in der Schule gute Noten schreiben. Doch zu einem erfolgreichen Leben gehört viel mehr. Bei Bewerbungsgesprächen fällt immer wieder der Begriff der “Emotionalen Intelligenz”. Emotionale Intelligenz beeinflusst die Gesundheit, das Glücksempfinden und letztlich auch den Erfolg im Leben viel unmittelbarer als gute Leistungen. Ein hoher EQ sorgt für ein stabiles Selbstwertgefühl, was einen großen Anteil daran hat, sich zu einer selbstbewussten Persönlichkeit zu entwickeln. Außerdem sorgt emotionale Intelligenz dafür, dass man früh lernt richtig zu kommunizieren – was wiederum ein wichtiger Faktor ist für harmonische Beziehungen.
Wir wollten wissen, wie wichtig emotionale Intelligenz für unsere Kinder ist, welchen Stellenwert sie in der Erziehung einnehmen sollte und haben Sibel Attili dazu befragt. Sibel Attili ist Bildungswissenschaftlerin und Diversity-Trainerin. Als Personal- und Managementberaterin gestaltet sie unter anderem Transformations- und Changeprozesse. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.
LUNA: Was verstehen Sie unter emotionaler Intelligenz?
Sibel Attili: Die Begabung, wie wir mit uns selbst und anderen umgehen. Dazu gehören Mitgefühl, Kommunikationsfähigkeit und Höflichkeit.
Wie wichtig ist der EQ, also der emotionale Intelligenzquotient, in der Kindererziehung?
In der Erziehung ist emotionale Intelligenz deshalb wichtig, weil sie Kindern hilft, mit einer immer komplexeren Welt umzugehen. Sie fördert die gesunde Beziehung zu anderen Menschen, stärkt die eigene Belastbarkeit, fördert die Empathie und – ganz wichtig – bringt auch inneren Frieden. Wir lernen uns selbst wertzuschätzen und mit uns zufrieden zu sein. Das ist ein Problem in unserer gegenwärtigen Gesellschaft, dass immer mehr Menschen unter Selbstzweifeln, hohem Leistungsdruck und Burn-out leiden.
Reicht es, wenn man das als Eltern vorlebt, oder kann man emotionale Intelligenz mit Kindern trainieren?
Man kann sie gut lehren, indem man sie jeden Tag vorlebt. Es ist aber auch hilfreich, bestimmte Achtsamkeitsübungen zu Hause zu machen, also zum Beispiel sich gegenseitig zu beschreiben, wie es einem geht, was man fühlt …
Also die typische Elternfrage „Wie war dein Tag?“ stellen?
Wenn Sie Ihre Kinder das fragen, dann werden Sie nicht viel herausfinden. Viel besser ist es, Kindern intensive Fragen zu stellen, bei denen sie über die Antwort nachdenken müssen. Also zum Beispiel: Was hat dich heute zum Lachen gebracht? Oder: Welchen größten Fehler hast du heute begangen?
Wie man Gespräche mit Kindern richtig angeht, könnt ihr hier nachlesen.
Ab welchem Alter soll man damit starten?
Je früher, desto besser. Einige Eltern neigen dazu, Gefühle beiseitezuschieben, andere geben den Gefühlen zu viel Macht. Stattdessen sollten wir Gefühle als Information betrachten. Also statt mit Geschrei auf den Wutanfall des Kindes zu reagieren, lieber einmal kurz innehalten und sich fragen: Warum reagiert mein Kind jetzt so und was bewirkt das bei mir? Das hilft uns, über unsere Gefühle zu sprechen und damit umzugehen.
Können Sie uns drei schnelle Tipps geben, wie man emotionale Intelligenz im Familienalltag pusht?
Ein Tipp ist, wie gesagt, konkrete Fragen zum Tag zu stellen. Außerdem kann man sich beim gemeinsamen Abendbrot über den Gefühlsstatus austauschen, also die Gefühle auf einer Skala von eins bis zehn bewerten und das begründen. Kleinere Kinder können Tiere als Metaphern benutzen, also sagen „Ich habe mich heute gefühlt wie eine Maus, weil …“ oder „Ich habe mich gefühlt wie ein Tiger …“. Kindern macht das Spaß und es hilft ihnen, ihre Emotionen zu verstehen und zu benennen. Und ein kleines Dankbarkeitsritual ist gut, etwa gemeinsam mit Saft auf einen schönen Tag anstoßen. Kinder lieben das und es stärkt ihren EQ.
Bild: privat; Aufmacher: Annie Spratt on Unsplash
So könnt ihr die emotionale Intelligenz Eurer Kinder fördern!
Gefühle erkennen und benennen
“Bist du wütend, traurig, enttäuscht?” Ach, immer diese typischen Elternfragen. Doch gerade diese sind wichtig damit Kinder lernen, ihre Gefühle zu erkennen und sie auch zu benennen. Schon beim Angucken von Bilderbüchern kann man zusammen darüber reden, warum die Hauptfigur im Buch gerade traurig ist (Spielzeug verloren), oder wütend (bekommt nicht das, was sie will). Bereits Dreijährige verstehen diese Gefühlsregungen und entwickeln Empathie.
Fragen, die Empathie fördern:
- Elena weint, siehst du das? Hast du eine Idee, warum sie weint?
- Robert sieht sehr wütend aus. Was hat ihn wohl so wütend gemacht?
- Du bist aufgeregt. Kannst du mir sagen warum?
Aussagen, die Empathie verhindern:
- Stell dich nicht so an. Du hast gar keinen Grund wütend zu werden.
- Hör auf zu heulen. So schlimm ist das nicht!
- Reg dich nicht so auf. Dein Verhalten ist lächerlich!
Mit Gefühlen umgehen lernen
Negative Gefühle wie Wut, Ärger, Frustration, Enttäuschung aushalten können, dazu gehört eine ganze Menge. Auch hier ist der wichtigste Tipp für Eltern: Verständnis zeigen. Ein Kind für negative Emotionen zu kritisieren oder gar zu bestrafen, hat nur gegenteilige Auswirkungen. Allerdings heißt das nicht, dass wir Eltern jedes Verhalten akzeptieren müssen: “Ich verstehe, dass du dich ärgerst, aber schubsen geht nicht.” Besser ist es zusammen mit dem Kind zu überlegen, was es in der Situation tun könnte.
Grundsätzlich sollten wir als Eltern die Botschaft vermitteln, dass jedes Gefühl in Ordnung ist, nicht aber jedes Verhalten rechtfertigt. Trotzdem sollten wir dabei auf das Alter des Kindes achten und nicht zu viel erwarten. Ein Dreijähriger kann nicht das gleiche Maß an Empathie haben, wie ein Sechsjähriger.
Misserfolge dürfen passieren
Ganz wichtig für die emotionale Entwicklung unserer Kinder ist, dass sie lernen mit Misserfolgen umzugehen. Es aushalten zu können, dass ein anderes Kind in Sport bessere Leistungen erzielt, ein Bild perfekter malen kann oder dass die eigene Mannschaft beim Fußball verliert, ist entscheidend für spätere Jahre.
Wenn ein Kind nicht die Leistung erbringt, die es von sich selbst erwartet, ist es natürlich traurig und enttäuscht. Was es jetzt braucht ist Trost und Zuspruch. “Du hast viel länger an dem Bild gearbeitet und hast dir wirklich Mühe gegeben. Das kann man deutlich sehen.” oder “Du hast das Tor verfehlt, aber nur knapp. Lass uns nächste Woche üben, damit du beim nächsten Mal besser triffst” – das sind Botschaften, die Kindern in dieser Situation helfen.
Zuhören fördert den EQ
Gehört und verstanden werden ist für Kinder jeden Alters wichtig. Auch wenn wir vielleicht den Wunsch, den es an uns heranträgt nicht sofort erfüllen können (oder wollen), sollten wir klar machen, dass wir zugehört haben. “Ich habe gehört, dass du jetzt ein Eis willst, aber vor dem Essen finde ich das nicht gut. Wir können eines zum Nachtisch essen.” Wenn wir zuhören, zeigen wir unserem Kind Respekt. Das wiederum lehrt die Kinder Respekt, was ein wichtiger Faktor für den EQ ist.
In diesem Punkt können wir uns sehr viel vom dänischen Erziehungsstil abschauen. Mehr darüber erfahrt ihr in dem Interview mit Iben Dissing Sandahl, die das Buch “Warum dänische Kinder glücklicher und ausgeglichener sind” geschrieben hat (erschienen im Mosaik Verlag).
Das Gute im Schlechten erkennen
Wir können auch negative Situationen umdeuten, indem wir unsere Einstellung dazu ändern. Das Fußballspiel ist wegen schlechtem Wetter gecancelt worden? Dann gibt es stattdessen eben einen Nachmittag mit Brettspielen. Alle Kinokarten sind schon ausverkauft? Dann machen wir es uns auf dem Sofa gemütliche mit einem Film und Popcorn.
Es ist genau diese Haltung, die wir unseren Kinder mitgeben und die es ihnen später erleichtert, mit stressbeladenen Situationen positiv umzugehen. Was außerdem positive Auswirkungen auf die Stimmung in der Familie hat ist, sich gegenseitig darauf zu verständigen, dass Klagen und Meckern ein No-Go sind. Situationen mit Humor zu nehmen und auf Meckern zu verzichten, wirkt sich sehr schnell auf die Zufriedenheit der Familie aus.
Kinder Freiheit erfahren lassen
Unsere Kinder werden beinahe rund um die Uhr betreut. Freies Spiel findet so gut wie gar nicht statt, da wir vielfach sogar die Freizeit organisieren und mit Playdates oder anderen Aktivitäten verplanen. Dabei stärkt nichts so sehr den EQ wie die Erfahrung von Freiheit.
Bring deine Kinder so oft wie möglich in die Natur, wo sie sich ausprobieren können, mit natürlichen Materialien kreative Spiele ausdenken und gegenseitig ihre Grenzen austesten können. Ein Waldkindergarten ist dafür zum Beispiel ideal.
Kinder brauchen keine von Erwachsenen angeleiteten Spiele oder Aktivitäten. Sind sie in der Gruppe, fallen ihnen die kreativsten Dinge ein: Hütten bauen, Detektiv spielen oder “verschollen auf einer einsamen Insel”… Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Je mehr Kinder die Möglichkeit haben solche Erfahrungen zu machen, desto mehr profitiert davon die Entwicklung ihrer emotionalen Intelligenz.
Noch mehr kinderleichte Erziehungstipps findet ihr hier.
Bilder: unsplash