Alle Kinder experimentieren gern, versuchen spielerisch, ihre Umwelt und Alltagsphänomene zu begreifen. Warum fliegt der Luftballon? Wo kommt der Regen her? Wieso geht der Stein im Wasser unter, der Stock aber nicht? Wie kann man diese Neugierde wachhalten und sie vielleicht sogar in Bahnen lenken, die in eine bleibende Begeisterung für Naturwissenschaft und Technik münden?
Der Bund investiert in die MINT-Bildung der Kinder
Das ist nicht nur ein Anliegen vieler Eltern, sondern eine festgelegte Bildungsoffensive des Bundes. Denn laut der Zahlen sind in Kindergarten und Grundschule die sogenannten MINT-Fächer (kurz für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) noch beliebt, doch erlischt bei vielen Kindern das Interesse daran meist im Alter von 14 Jahren.
Mit 55 Millionen Euro fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung bis 2022 MINT-Bildung in verschiedenen Bereichen. Ein Projekt ist das „Haus der kleinen Forscher“. Hier setzt man seit 2008 auf die Fortbildung der Fach- und Lehrkräfte, denn gerade in Kindergarten und Grundschule soll das Interesse an MINT-Themen geweckt und gefördert werden.
Wir haben mit Anne Großkurth gesprochen, die im „Haus der kleinen Forscher“ Referentin für MINT-Bildung ist und den pädagogischen Ansatz zur frühkindlichen MINT-Bildung zuletzt weiterentwickelt hat.
Frau Großkurth, wie kann man Kinder aktiv für technische oder mathematische Fächer begeistern?
Anne Großkurth: Ich denke, ganz wichtig ist, die Kinder da abzuholen, wo sie gerade in ihrer Entwicklung und ihrem Wissen stehen. Mathematische, technische und naturwissenschaftliche Dinge umgeben uns täglich, sind Teil unserer Welt. Wie die Wissenschaftler in diesen Fächern später vorgehen, ähnelt oft den Vorgehensweisen, die schon kleine Kinder anwenden, also dass sie Dinge entdecken, erforschen und ausprobieren. Ich denke, wir können gut bei der natürlichen Neugierde der Kinder ansetzen.
Konkret heißt das, dass Erzieher und Erzieherinnen, Lehrer und Lehrerinnen oder Eltern erst einmal schauen sollten, wofür sich die Kinder gerade interessieren und das aufgreifen und unterstützen.
Viele Museen wie das Deutsche Museum in München oder das Technische Museum in Berlin haben Bereiche, wo Kinder Dinge ausprobieren können und so physikalische Gesetzmäßigkeiten wie Hebelwirkung und Ähnliches näher kennen lernen. Ist das ein guter Ansatz, um diese Themen Kindern näherzubringen?
Ja, nach dem ersten PISA-Schock hat man viele solcher Bereiche entwickelt, wobei hier oft von komplexen wissenschaftlichen Zusammenhängen ausgegangen wurde und ein eher schulischer Ansatz vorherrscht. In den letzten 10 bis 15 Jahren konnten wir dagegen das MINT-Thema mit einem frühkindlichen Ansatz zusammenbringen: Wie entdecken Kinder die Welt, wie eignen sich Kinder die Welt an? Das ist das Neue an unserem überarbeiteten pädagogischen Programm im „Haus der kleinen Forscher“, das wir zudem ständig weiterentwickeln.
Im Grunde besagt unser Ansatz: Du musst erst einmal eine Wertschätzung mitbringen gegenüber dem, was das Kind tut, die Kinder ermutigen und ihren eigenen Weg zum Entdecken bestimmter Dinge zulassen. Als nächsten Schritt kann ich mich an den Kindern orientieren, sie vielleicht in eine bestimmte Richtung lenken. Wenn sie sich zum Beispiel gerade für Ameisen interessieren, lässt sich das mit Fragen aufgreifen: Warum läuft die Ameise wohl weg? Läuft sie immer weg? Erst am Ende dieses Prozesses geht es darum, das eigentliche Lernen anzuregen. Das können wir Erwachsene durch gute Dialoge fördern. Ich lerne also gemeinsam mit den Kindern.
Uns ist der Ansatz der Ko-Konstruktion sehr wichtig, dass wir Wissen und Bedeutungen gemeinsam aushandeln. Das bedeutet, ich muss als Erzieherin oder als Eltern nicht alles wissen, vielmehr erforschen wir es gemeinsam mit den Kindern.
Fachkräfte schulen um mehr MINT-Angebote im Kindergarten zu schaffen
Oft fehlt es im Schulunterricht am Praxisbezug, der Fächer wie Physik oder Chemie attraktiver machen könnte. Viel Wissensvermittlung passiert einfach nur beim Lösen von abstrakten Aufgaben auf Papier. Auch hier greifen Sie ein mit Weiterbildung für Pädagogen, damit der Unterricht in den MINT-Fächern anschaulicher wird, oder?
Ja, das ist eines der Kernthemen der Stiftung: Die Weiterbildung der pädagogischen Fach- und Lehrkräften für drei- bis zehnjährige Kinder. Dabei geht es erst einmal um die Freude am Entdecken und Forschen und auch darum, die Selbstwirksamkeit („Ich kann das auch“) bei den Fachkräften zu wecken. Denn wer den Beruf des Erziehers oder der Erzieherin gewählt hat, hat sich vielleicht in der Schule für den Bereich Mathematik oder Physik nicht so sehr interessiert.
Wir bringen die Fachkräfte dazu zu entdecken: Ich kann das, ich kann Dinge erforschen. Denn physikalisch unterwegs zu sein heißt einfach, Phänomene wahrzunehmen, sie zu erkunden, vielleicht Fragen zu finden und diesen Fragen forschend nachzugehen, also zu erkennen: Warum ist das so? und: Ist das immer so? Wir vermitteln mit Blick auf Situationen und Tools, wie man Kinder anregen kann, vertiefter ins mathematische, informatische, technische oder ins naturwissenschaftliche Denken und Handeln zu kommen.
Wie bringen Sie die Fachkräfte so weit?
Indem wir ihnen beibringen, wie man sich selber eine MINT-Brille aufsetzen kann. Zum Beispiel, womit kann ich arbeiten, wenn ich etwas zum Thema Licht-Farben-Sehen machen möchte. Ganz wichtig ist dabei, dass die Kinder die Zeit bekommen, die Sachen zu erkunden. Also wenn ich etwas zum Thema Strom mache, dürfen die Kinder erst einmal die ganzen Kabel und Batterien erkunden, dann beantworten wir gemeinsam ihre Fragen an den Gegenstand und schließlich kann man begleiten, was die Kinder wie herausfinden wollen mithilfe dieser Gegenstände.
Doch noch findet in manchen Kindergärten und im Vorschulunterricht wenig statt im Bereich MINT-Bildung. Greifen Sie da auch schon ein, um diese Fächer populärer zu machen?
Das ist genau der Bereich, den wir fördern wollen.Wir wollen das Entdecken der Kinder zulassen und ermöglichen, dass es vielleicht auch ein Materialbüfett gibt mit Dingen zu einem Thema und der Erzieher oder die Erzieherin dann langsam mit der Gruppe zum Forschen kommt.
Wenn ich zum Beispiel eine Feder habe, würde ich erst einmal alle Fragen dazu beantworten und dann gemeinsam mit den Kindern überlegen: Wie schnell fällt eine Feder? Fallen alle Federn schnell? Das Ideal ist in einer solchen Situation, eine gemeinsam gefundene Frage mit den Kindern zu beantworten. Selbst Informatik lässt sich schon in den Kindergartenalltag integrieren, indem ich zum Beispiel versuche, einen täglichen Ablauf zu optimieren. Das gemeinsame Tischdecken könnte man als informatische Bildung ansehen, wenn man dabei darauf achtet, wie man es schneller machen könnte, vielleicht indem man eine Kette bildet oder die kürzesten Wege geht.
Wie sieht das konkret aus: Stellen Sie Material zur Verfügung oder geht eine Fachfrau, ein Fachmann von Ihnen mit der Pädagogin in die Kita und zeigt, wie man das gestalten kann?
Das entwickelt sich stetig weiter. Im Moment gibt es hauptsächlich digitale Weiterbildungen. Diese Angebote sind begleitet von Materialpaketen mit Ideen für die Praxis. In den letzten Jahren haben wir auch Programme entwickelt, die individuelle Situationen im Kita-Alltag aufgreifen, dazu gibt es zum Beispiel einen Fächer mit Impulsfragen, der der Fachkraft hilft, bei Kindern das naturwissenschaftliche oder eben MINT-Denken anzuregen, also Dinge beobachten, Erklärungen suchen, Thesen aufstellen und diese überprüfen.
Was ist hier das Lernziel für die Kinder?
Es führt zu einer Mündigkeit, die es uns ermöglicht, später als Erwachsene oder Jugendliche an gesellschaftlichen Debatten teilnehmen zu können. Doch dafür müssen wir verstehen, wie Wissen in diesen Fächern entsteht und auch, dass man sich selber dieses Wissen aneignen kann.
Es gehört immer die Frage dazu: Wie kann ich etwas feststellen und überprüfen und wie kann ich diese Erkenntnisse später auch anderen zeigen? Die Recherche gehört bei etwas älteren Kindern mit zum Lernziel: Woher weiß ich das, hat das jemand schon mal ausprobiert, was gibt es hierfür bereits an Material? Auch dazu haben wir jetzt einige Angebote und entwickeln diesen Ansatz weiter. Dabei geht es dann in Richtung Zukunftsbildung und speziell MINT-Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Unsere Vision ist, dass wir starke Kinder brauchen für eine Zukunft mit Herausforderungen. Die Megatrends wie zum Beispiel Klimawandel, Digitalisierung, Migration sind da, und dabei spielen Fähigkeiten wie das Problemlösen, kritisches Denken, aber auch Empathiefähigkeit, Perspektivwechsel, Selbstkompetenzen und Resilienz eine wichtige Rolle.
Greift bereits in der Kita die digitale Bildung, animieren Sie Pädagogen dazu sie zu integrieren?
Ja, denn die Welt, die uns umgibt, hat ja analoge und digitale Phänomene. Wir befürworten den Einsatz von digitalen Medien, wenn er sinnvoll ist und nicht nur der Unterhaltung dient. Zum Beispiel: Ich kann mit dem Tablet ein Foto machen und damit dokumentieren, wie sich ein Schmetterling entwickelt. Aber auch das Verstehen von Informatik und von informatischen Systemen ist spannend, also die Aufgabenstellung: Wie kann ich einen Ablauf optimieren oder einen Prozess verbessern? So können Kinder später besser einschätzen, was ein Roboter ist oder wie Künstliche Intelligenz funktioniert. Da hilft es schon, wenn bereits in der Kita oder in der Grundschule der sinnvolle Einsatz von digitaler Technik erprobt wird.
Wie gehen Sie mit dem Genderthema um? Gibt es tatsächlich ein größeres Interesse von Jungs an MINT-Fächern?
Nein, das glaube ich nicht. Mädchen müssen mehr gegen Stereotype angehen. Das sagen wenigstens die neuesten Erkenntnisse über die Rolle des Geschlechts in Bildungsprozessen. Es geht gar nicht darum, dass ein Mädchen, das Astronautin werden will, sich das selbst nicht zutrauen würde, sondern es geht vielmehr darum, dass es gegen die Geschlechterrollen ankämpfen muss.
Gucken Sie sich auch etwas ab von anderen Ländern, zum Beispiel den nordischen Nachbarn wie Dänemark, Schweden oder Norwegen?
Ja wir gucken uns zum Beispiel an, wie globales Lernen in Schweden funktioniert oder Integration in Dänemark. Auch in asiatischen Ländern gibt es viele gute Ideen zur MINT-Bildung. Aber wir machen auch die Erfahrung, dass viele Länder mittlerweile auf uns gucken, denn wir sind ein positives Beispiel für frühe MINT-Bildung.
Bilder: Gettyimages