Kinder brauchen keine Erziehung, sie brauchen jemanden, der ihnen den Weg weist – Maria und Mau bereisen gemeinsam mit ihrer Familie spirituelle Orte, ohne dabei eine feste Heimat zu haben. Ihr Leben ist eine einzige Weltreise mit Familie. Anne Oloff hat die modernen Nomaden getroffen und zu ihrem Lebenskonzept befragt…
Es ist ein heißer Wintertag in Goa, im Süden Indiens, an dem ich Maria und Mau am Strand von Anjuna das erste Mal begegne. Die Schwedin Maria mit ihrem zarten und warmherzigen Naturell und Mau, ihr chilenischer Mann, der Fels in der Brandung, stark und gleichermaßen besonnen. Die beiden sind Eltern zweier Kinder und bezeichnen sich selbst als eine moderne Nomadenfamilie, die in der Welt zu Hause ist. Überall und nirgendwo.
Euer Familienleben ist wirklich beeindruckend, aber auch alles andere als gewöhnlich. Für eure Kinder ist die ganze Welt ihr Zuhause. In der einen Woche skatet dein Sohn Miro (11) durch eine Megametropole wie Bangkok und in der nächsten unterrichtet er seine eigene Yogaklasse in Bali, während deine Tochter Issa (13) einen eignen Foodblog über sämtliche exotische Speisen aller Länder führt, die ihr bereist habt. Welche Länder habt ihr in diesem Jahr besucht?
Maria: Vielen Dank, ich fühle mich auch wirklich gesegnet, denn ich lebe meinen Traum – und das zusammen mit meiner Familie. Was gibt es Schöneres? Dieses Jahr haben uns unsere Reisen nach Indonesien, Thailand, Dänemark, Schweden, Portugal, Spanien und England geführt. Aber ganz unabhängig davon, an welchem Ort der Erde, eines darf man nicht vergessen: Es wird auch dort einen Alltag geben und immer etwas Gutes und etwas Schlechtes.
Wenn das eigene Zuhause nicht an räumliche Strukturen gebunden ist, welche Bedeutung hat dann Heimat für dich und insbesondere für deine Kinder?
Issa hat einmal zu mir gesagt, ihr Zuhause sei da, wo sie ein Dach über dem Kopf und Kleidung zum Anziehen habe. Miro sieht das noch etwas entspannter: Zuhause ist für ihn überall da, wo seine Freunde und Familie sind. Wenn ich für mich selbst eine Klammer setze, dann sind wir füreinander unser Zuhause. Allerdings haben wir auch eine feste Anlaufstelle. Bali ist unsere Basis, hier verbringen wir mindestens sechs Monate im Jahr.
Gehen deine Kinder dann auch in Bali zur Schule und wie passt das mit dem Reisen zusammen?
Ja, genau, beide sind dort in einer kleinen Schule, die von einem internationalen Lehrmeister betrieben wird, und haben wirklich erstaunlich qualifizierte Lehrer. Wenn wir nicht vor Ort sind, bekommen die beiden eine Checkliste für die Fähigkeiten mit, die sie in ihrer Altersgruppe erlernen müssen. Es ist eine sehr individuell zugeschnittene Erziehung, die für uns sehr gut passt.
Bist du als Kind ähnlich frei aufgewachsen?
Ich bin in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen, in einem kleinen Dorf in Südschweden. Allerdings habe ich mich dort nicht frei gefühlt, ich habe mich immer so gefühlt, als wäre ich irgendwie anders. Für mich war klar, dass ich auf Weltreise gehen würde – und das am liebsten so weit weg wie möglich von der modernen Zivilisation.
Was stört dich an einem normalen Umfeld?
Das Rennen um materiellen Besitz und Macht. Nichts davon bedeutet etwas. Aus dem Grund habe ich mich mit 18 Jahren auf den Weg gemacht. Ich habe eine Münze geworfen, ob ich nach Rom oder Amsterdam gehe. Die Münze hat entschieden und so habe ich eineinhalb Jahre in Amsterdam gearbeitet und Geld angespart, um in die Mongolei zu gehen. Aber das Schicksal führte mich auf dem Landweg in den Norden von Indien.
Wie hast du Mau kennengelernt und wann habt ihr euch für euren Lebensstil entschieden?
Wir sind uns in Stockholm begegnet, wo Mau seit Jahren ein Tatöwierstudio betrieb. Ich habe den Sommer über in Schweden gearbeitet, nachdem ich ein Jahr lang in Indien war, um tibetischen Buddhismus zu studieren. Dabei wäre ich beinah zur Nonne ordiniert. Eines Tages stand Mau in dem Laden, in dem ich arbeitete, um Weihrauch zu kaufen. Es war Liebe auf den ersten Blick, eine unglaublich tiefe Verbindung, trotz großer sprachlicher Barrieren. Allerdings wollte ich am Ende des Sommers nach Indien zurückkehren. Glücklicherweise hat sich Mau dafür entschieden, mich einen Monat zu begleiten. Kurz bevor wir losgefahren sind, fanden wir heraus, dass ich mit Issa schwanger war. In Indien angekommen, fühlte Mau die gleiche Liebe zu diesem Ort wie auch ich. In den nachfolgenden Jahren sind wir mehr und mehr Monate des Jahres zwischen Delhi, Goa, Schweden, den Osterinseln, Chile, Ibiza und Nepal gependelt. Wir haben die Wahl für unseren Lebensstil nicht bewusst getroffen – dieser Weg ist es, wer wir sind.
Zwei Jahre nach Issa kam Miro zur Welt. Hattest du auch ab und an Zweifel, ob ihr das Richtige macht, als die beiden noch kleiner waren?
Als Eltern hat man immer wieder Zweifel und ich denke, es ist auch gut, von Zeit zu Zeit sich selbst infrage zu stellen, einen Schritt zurückzutreten, um sich selbst von außen zu betrachten.
Wie finanziert ihr eure Unabhängigkeit?
Wir sind eine Tätowiererfamilie. Menschen kommen aus der ganzen Welt zu meinem Mann, um von ihm ein „Spiritual Art Tattoo“ gestochen zu bekommen. Ich selbst restauriere traditionelle Volkskunst und verkaufe auf Anfrage.
Was ist das Geheimnis von Glück?
Der eigenen Eingebung zu vertrauen und zu folgen sowie Bescheidenheit und Dankbarkeit.
Welche Vorteile ziehen deine Kinder aus der Erfahrung einer modernen Nomadenfamilie?
Issa und Miro sind extrem anpassungsfähig. Außerdem wissen die beiden ganz genau, dass der Alltag und die Menschen, wo immer sie auch sind, ziemlich gleich sind und dass wir Menschen im Prinzip alle das gleiche Ziel verfolgen: Wir wollen einfach nur glücklich sein. Wenn ich meine Kinder ansehe, sehe ich zwei unabhängige und furchtlose Individuen. Sie haben Freunde überall auf der Welt, aber gleichzeitig wissen sie, dass sie diese übers Jahr nicht so oft sehen werden.
Die Spiritualität, die Kultur und die Traditionen sind sehr unterschiedlich in den Ländern, die ihr bereist habt. Wie beeinflusst das deine Familie?
Issa und Miro sehen Spiritualität, Kultur und Religion nicht als etwas Exotisches oder Seltsames an, sondern erkennen das Unverfälschte, weil sie viele verschiedene Bezugspunkte haben.
Was plant Ihr für die Zukunft?
Mein größtes Projekt wird es sein, meinen Kindern einen fruchtbaren Boden zu schaffen, damit sie ihr wahres Selbst entfalten und ihr ganzes Potenzial ausschöpfen können. Das gilt auch für mich. Mau und ich würden uns gerne irgendwo niederlassen, aber noch sehe ich nicht, wann und wo das sein wird.
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Bilder: Isabel N Wedin